So schaut Hafer aus“, lautet der erste Satz, den er sagt. Reinhard Kaiser-Mühlecker nimmt das goldfarbene Büschel und legt es wieder zurück auf den Gartentisch. Wir setzen uns unter die weit ausladenden Äste eines herrlichen Nussbaums, gleich neben dem Hof, der auf einem Hügel am Ende einer Zufahrtsstraße steht. Hier kann man nicht zufällig vorbeifahren: Nach dem Hof kommen nur noch Felder, seine Felder, deren Bestellung er vor gut fünf Jahren von den Eltern übernommen hat. Neben dem Tablett mit Wasser und Saft liegt aber nicht etwa eine Ausgabe seines neuen Romans, sondern ein schwarzes Gerät, das misst, ob der Hafer trocken genug ist, reif für die Ernte – oder eben nicht.
„Es war die Zeit, als der Wetterbericht nicht mehr stimmte“, lautet der Satz, mit dem seine Protagonistin Luisa Fischer am liebsten ihren Roman beginnen lassen würde. Einen Roman, den sie aber vielleicht nie schreiben wird. Brennende Felder beginnt anders, jedoch auch mit dem Wetter („Wie nach Landregen oder Sturm sah der Himmel aus“) und erscheint dieser Tage. Nach dessen Lektüre hat man auch ein paar brennende Fragen an den Autor für das Gespräch mitgebracht, nicht nur die, ob wir tatsächlich in einer Zeit leben, in der der Wetterbericht nicht mehr stimmt.
Haus und Hof
Kaiser-Mühlecker hat zu sich nach Hause eingeladen, und es sieht ganz so aus, als wäre er jetzt, mit 41 Jahren, bereit dafür – als Schriftsteller und Landwirt. Vor kurzem war das Fernsehen da und vor ein paar Tagen auch ein Team vom SZ-Magazin, das dem bayrischen Buchpreisträger demnächst eine Strecke widmet. Da trug er für den Fotografen sogar Arbeitsgewand. Am Vortag hatte es geregnet, es gab deswegen draußen weniger zu tun. Obwohl er heute in der Früh schon fleißig war, trägt er Jeans und ein blaues Hemd, aufgekrempelt, und unter dem Gartentisch leuchten strahlend weiße Sneakers, als könnte man sich hier nirgendwo schmutzig machen. Und tatsächlich: Haus und Hof stehen gänzlich aufgeräumt da, vieles ist frisch renoviert. Alles wirkt in bester Ordnung, die eine lichte Grundstimmung verbreitet, wie sie in den meist düsteren Romanen Kaiser-Mühleckers, die von dieser Gegend hier handeln, kaum vorkommt.
Aber erst einmal zurück zum Wetter. Es ist Hochsommer, eine Zeit, in der die meisten Urlaub, Bauern aber ihre arbeitsintensivste Zeit haben. „Und ja“, sagt der Landwirt, „die Vorhersagen werden ungenauer, die Wetterphänomene heftiger und die Zeitfenster für die Arbeiten kleiner.“ In Gebirgsnähe, also dort, wo er herstammt, aus dem oberösterreichischen Voralpenland, gab es, was das Wetter betrifft, immer auch schwierige Zeiten, aber so unvorhersehbar wie jetzt war es nie. Planbarkeit ist ein Thema geworden.
Das alles schwingt in Brennende Felder mit, aber nur am Rande. Den Titel hat sich sein neunjähriger Sohn ausgedacht, der mit der Mutter im Ausland lebt und immer wieder auf Besuch ist, so wie jetzt im Sommer auch. „Der Titel passt gut“, sagt Kaiser-Mühlecker, es gehe um das Innenleben seiner Hauptfigur, die, wo sie auch auftritt, verbrannte Erde hinterlässt. Luisa Fischer ist neben Alexander und Jakob eine von drei Geschwistern, denen Kaiser-Mühlecker jetzt je einen Roman gewidmet hat (Fremde Seele, dunkler Wald, Wilderer und Brennende Felder). Luisa Fischer gehört also zum fixen Romanpersonal des Autors, aber im aktuellen Roman erzählt er zum ersten Mal aus der Perspektive einer weiblichen Protagonistin.
Die an sich unsinnige, aber wahrscheinlich zeitgeistige Frage, ob man als männlicher Autor so eine Frauenfigur entwerfen darf – der Autor selbst sagt, dass sie keine Moral kennt –, wurde auch in seinem Frankfurter Verlag diskutiert, erzählt Kaiser-Mühlecker. Aber seine Haltung zu diesem Themenkomplex ist so klar wie das Glas Wasser, das vor ihm auf dem Tisch steht: „Schreiben ist für mich die größte Freiheit.“ Literatur muss als Kunst frei sein, und diese Freiheit der Kunst gilt es zu verteidigen. Er lasse sich in dieser Hinsicht von keinem etwas vorschreiben, sagt der Autor, und nehme dafür gerne Prügel in Kauf – und die spüre er gar nicht.
Also wer ist diese Luisa Fischer? Bittet man ihren Erschaffer, sie kurz zu beschreiben, sagt er: „Sie wäre diejenige, die am schlechtesten Auskunft über sich selbst geben könnte.“ Das heißt: eine Figur, die immer herausfinden möchte, wer sie ist, aber ständig daran scheitert. Oder, anders: „Eine Frau ohne Halt. Nirgendwo hingehörig.“ Mit dem Land und der Landwirtschaft, obwohl das ihre Herkunft ist, hat sie nicht viel am Hut, nie gehabt. Kaiser-Mühlecker setzt seiner Luisa schon auf der ersten Seite seines Romans Brillen auf, durch deren gefärbte Gläser sie die Landschaft und das Leben, vor allem ihr eigenes, betrachtet. Die titelgebenden Felder, die im Roman tatsächlich irgendwann brennen, so wie auch die Felder in unmittelbarer Nähe von Kaiser-Mühleckers Hof im vergangenen Sommer gebrannt hatten, weil Maschinen wegen der Hitze in Brand geraten waren, betrachtet sie unbeteiligt aus der Ferne, sie bemerkt sie kaum.
Beim Lesen ihrer Geschichte schwankt man zwischen Unverständnis und Mitleid für diese, ja, verlorene Frau mit ihren übergroßen Sehnsüchten, dass mit dem nächsten Ortswechsel, dem nächsten Mann oder Geliebten, dem nächsten Beruf ihre Träume und Vorstellungen doch noch wahr werden. Die tatsächliche Lage sieht aber anders aus. Ihre Lebensgeschichte könnte man ruhig mit dem unschönen Wort „knallhart“ umschreiben. Die biografischen Fakten: Sie hat mit ihrer Herkunftsfamilie gebrochen, hat von zwei Männern zwei Kinder, die aber jeweils mit den Vätern im Ausland leben, und mit dem Mann, den sie lange für ihren Vater gehalten hat, führt sie später eine Beziehung, bevor dieser gewaltsam zu Tode kommt. Sie geht wieder eine Beziehung ein mit einem alleinerziehenden Mann, die erneut zu scheitern droht. Damit ist – längst – nicht alles gespoilert.
Kaiser-Mühlecker gibt zu, dass es mühsam war, Luisas Geschichte zu schreiben. „Zäh“, sagt er. Aber er denkt sich so eine Geschichte nicht aus. Er entdeckt sie. So beschreibt er diesen spannenden Prozess und zieht ihn dann durch, Tag für Tag, bis zum bitteren Ende. „Und die Hoffnung ist“, fügt er lachend an, „dass jemand, der das liest, all diese Wendungen auch mitmacht.“
Empathie muss eine Rolle spielen
STANDARD-Kulturredakteurin Margarete Affenzeller hat über Kaiser-Mühleckers vorheriges Buch Wilderer geschrieben: „Es hantiert mit unglaublicher Verachtung.“ Dass das jemand so sieht, trifft ihn fast, aber dann sagt er: „Verachtung ist das ganz falsche Wort. Aber ich schreibe auf, was der Mensch sein kann.“ Das hat fast etwas Biblisches und bedeutet, es gibt keine Schonung. Seine Figuren schonen auch niemanden. Zentral ist für ihn, dass ein Mensch vieles zugleich sein kann: Jemand lügt und sehnt sich gleichzeitig nach der Wahrheit. Jemand ist bemitleidenswert und tut gleichzeitig schreckliche Dinge. Weg vom Schwarz-Weiß, hin zu den Grautönen, das interessiert ihn als Autor. „Empathie muss dabei unbedingt eine Rolle spielen“, erklärt Kaiser-Mühlecker. Erst aus dem Wunsch heraus, einen Menschen zu verstehen, entstehen Geschichten. Er ist einer, der beim Schreiben immer dorthin vordringt, wo es wehtut. „Ja, das passiert offensichtlich laufend“, sagt er, das Leben sei grausam, die Landwirtschaft auch. Erst vor kurzem musste er einem Küken das Genick brechen. Grausam, auch, dass er es erwähnt, aber der Satz, sagt er, darf ruhig im Text bleiben, auch er verlangt keine Schonung. Aber während er das noch sagt, hellt sich sein Gesicht auf, den Vollbart trägt er wieder etwas gestutzter.
Kaiser-Mühlecker hantiert nicht nur erbarmungslos mit seinen Figuren, sondern auch mit den Thematiken aus seinem unmittelbaren Lebensumfeld. Während wir hier sitzen, ist der Vater aus dem Hof gekommen und mit dem Auto weggefahren. Das Kind seines jüngeren Bruders spielt in einiger Entfernung mit einem roten Plastiktraktor, der früher seinem Sohn gehört hat. In der Erntezeit helfen am Hof alle zusammen. Hat es für sein Schreiben jemals den Sanktus der Sippe gebraucht? „Nein“, antwortet Kaiser-Mühlecker sehr schnell, eine gewisse Rücksichtslosigkeit gehöre dazu. Er würde das alles unabhängig davon schreiben, ob es der Familie passt, es einen Verlag oder Geld gibt oder die Leute es lesen wollen oder nicht.
Wir sitzen auf seinem Hügel, rundherum nur Gegend: „Auch hier war das immer wieder einmal problematisch“, erzählt er und macht mit der Hand eine ausladende Bewegung, „aber das hat sich mittlerweile geändert.“ Er spricht mit der inneren Ruhe von einem, dessen Arbeit Erfolg hat, mit Preisen ausgezeichnet wird und in den Medien präsent ist. Das alles zeigt auch seine Wirkung in der Region: „Es kommt immer wieder vor, dass ich angesprochen werde, auf der Tankstelle oder im Supermarkt oder wo. Man ist mir und meinem Tun zugeneigt.“ Das war nicht immer so, und das kriegt wiederum die Sippe mit. Das mache es für alle leichter.
Mit dem Schreiben verdient er zudem Geld, das er ansonsten anders dazuverdienen müsste. Ob er nun ein Nebenerwerbsbauer oder ein Nebenerwerbsschriftsteller ist, ist nicht ganz klar. Ist das Einkommen oder sind die Arbeitsstunden das Kriterium? Er verbringt jedenfalls mehr Zeit in der Landwirtschaft als mit dem Schreiben, was ihn manchmal fast neidisch auf die Vollzeitschriftsteller macht. Er habe allerdings bei vielen seiner landwirtschaftlichen Tätigkeiten Zeit, über das Schreiben nachzudenken und Gedanken in Sätze zu verwandeln. So gesehen schreibt er immer, nicht nur dann, wenn er am Schreibtisch sitzt.
Im Frühjahr hat er ein langes Spalier gebaut, an dem jetzt Veitschi, Hopfen und Kiwi wachsen, damit es seine Tiere im Freiluftstall dahinter bald gut schattig haben. Die Betonmauer, er zeigt in Richtung Ställe, musste er höher ziehen, wegen veränderter Auflagen augrund der Afrikanischen Schweinepest. Wer mit Kaiser-Mühlecker eine Runde um seinen Hof dreht, bekommt eine Ahnung davon, wie groß und vielschichtig seine Aufgaben als Landwirt sind. Über den Ställen sind die Getreide- und Strohlager, die sich jetzt weiter füllen. Was dann fehlt, muss man zukaufen. Wenn er die Felder bald neu bestellt, muss er darauf achten, dass Halmfrucht auf Blattfrucht folgt. Leuten, die nichts mit Landwirtschaft zu tun haben, sagt das nichts, obwohl es mit unseren Lebensmitteln zu tun hat, die wir täglich zu uns nehmen.
Nachhaltig wirtschaften
Auf dem Weg zurück zum Nussbaum steht das Elektroauto, mit dem der Vater unterwegs war, wieder in der Garage. „Mit dem kann ich sogar den großen Anhänger ziehen“, erklärt er. Sein „Betriebsfahrzeug“, wie Kaiser-Mühlecker es nennt, fährt mit Strom vom Dach, der Biobauernhof steht nicht nur aufgeräumt, sondern auch nachhaltig gut da. In Brennende Felder liegen die Dinge anders, ungeordnet, mitunter chaotisch. Zumindest für Luisa Fischer und ihre jüngste Beziehung mit Ferdinand Goldberger, ja genau mit einem, der auch in Kaiser-Mühleckers „Goldberger-Saga“ schon vorgekommen ist. Als Schriftsteller beschäftigt Kaiser-Mühlecker immer wieder das Erbe aus der NS-Zeit und was aus diesem Land nach dem Zweiten Weltkrieg geworden ist. Anders als seine Protagonisten hält er nicht hinterm Berg: „Mein Urgroßvater war NSDAP-Ortsgruppenleiter“, das sagt er inmitten der schönsten Landschaft, die auch hier eine kontaminierte ist: Plünderungen, Vergewaltigungen, Geheimnisse, die bis heute totgeschwiegen werden. „Kein Wunder, dass ich Antifaschist bin.“ Und: „Es ist wichtig, diese Umstände immer wieder zu thematisieren.“ Auch das, was nicht genau benannt werden kann.
Für Kaiser-Mühlecker ist das Schreiben Beschäftigung mit den Dingen, die ihn umtreiben: „Nicht im Sinne einer Bewältigung, sondern einer Verwandlung.“ Diesen Umstand der Transformation von Stoffen fand er schon als Leser von Literatur immer faszinierend. „Es ist wie Zauberei“, sagt er, sichtlich dankbar für die Möglichkeiten, die er für sich gefunden hat. Aus den eigenen Problemen könne so etwas anderes, Besseres werden. „Schreiben ist eigentlich meine einzige Heimat“, lässt Kaiser-Mühlecker am Ende seine Protagonistin Luisa Fischer pathetisch sagen. Sie will auch Schriftstellerin werden, aber es ist zu befürchten, dass daraus nichts wird. Was ihr dazu fehlt? „Wahrscheinlich der Zugriff auf die eigene Stimme“, sagt der Erfolgsautor. Wie viel Reinhard Kaiser-Mühlecker steckt in dieser Haltlosen? Der Autor will nicht so weit gehen wie Gustave Flaubert, der gesagt hat: „Ich bin Madame Bovary.“ Aber natürlich steckt viel von ihm auch in dieser Figur: „Um Luisa Fischer braucht man sich nicht zu sorgen“, sagt ihr Entdecker noch, „sie kommt immer wieder auf die Beine.“
Ohne viel Zutun
Kann es denn sein, dass Luisa Fischer als Frau auch für all jene Frauen steht, die sich ein Leben in der Landwirtschaft nicht mehr antun wollen? „Möglich. Es ist immerhin eine Tatsache, dass in der Landwirtschaft sieben Tage pro Woche was zu tun ist, das ganze Jahr über“, beantwortet Kaiser-Mühlecker sehr pragmatisch diese Frage. „Für Luisa war das nie eine Option, weder interessiert es sie, noch wäre sie dazu geeignet. Aber Brennende Felder ist kein Landwirtschaftsroman, sondern eine einfache Geschichte über eine kompromisslose Frau, wie Wilderer eine über einen kompromisslosen Mann war.“ Wozu solche Kompromisslosigkeit führen kann, lässt sich in Brennende Felder trefflich nachlesen.
Wie geht es weiter, jetzt, wo die drei Geschwister Fischer in Buchform vorliegen? Reinhard Kaiser-Mühlecker genießt den sehr vagen Zustand, in dem er sich gerade befindet. Ein Zustand, in dem sich ein nächster Stoff entwickelt. „Ich sitze vor einer Szene und schau sie einfach an“, sagt er und vertraut, dass etwas in ihm nachdenkt, ohne dass er viel dazutut. Das kann überall sein, bei der Arbeit auf dem Feld, im Stall oder hier unter dem Nussbaum. Während des Interviews kam nur einmal der Postler, wie es hier in Oberösterreich heißt, mit seinem gelben Auto den Hügel raufgefahren. Es waren auch schon Fans da, erzählt Kaiser-Mühlecker ehrlich verwundert, und er ist darüber nicht froh. Schauen, was der Schriftsteller-Bauer so treibt. Was die dann sehen? Einen Landwirt auf seinem Traktor, der Feldarbeit macht. Was sie nicht sehen: den Autor, der vielleicht gerade ein Bild im Kopf hat und so lange hinschaut, bis es in Bewegung gerät.
Zauberei. (Mia Eidlhuber, 11.8.2024)
Reinhard Kaiser-Mühlecker, „Brennende Felder“. € 26,50 / 368 Seiten. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 2024